Forschungsprojekt „CoAct“ zeigt Möglichkeiten auf, wie Kläranlagen auf Aktivkohle aus fossilen Rohstoffen verzichten können. Praxisversuch in der Kläranlage Kressbronn a. B.-Langenargen setzt Pflanzen-Aktivkohle ein.
Die Kläranlage Kressbronn a. B.-Langenargen war eine der ersten am Bodensee, die die Abwasserreinigung um eine sogenannte vierte Stufe erweiterte. Seit 2011 setzt sie Aktivkohle ein, um nach mechanischer, biologischer und chemischer Reinigung in einem weiteren Schritt noch verbliebene Spurenstoffe wie Medikamentenrückstände, Pestizide oder Haushaltsreiniger zu entfernen. „Nun wird die Anlage nochmals zum viel beachteten Vorreiter“, sagt Volker Kromrey, Geschäftsführer der Bodensee-Stiftung. Die Bodensee-Stiftung hat zusammen mit Projektpartnern unter der Leitung der Universität Kassel in den zurückliegenden fünf Jahren im Verbundprojekt „CoAct“ erarbeitet, wie die aus fossiler Herkunft stammende Aktivkohle durch Aktivkohle ersetzt werden kann, die aus Restbiomassen aus dem Landkreis produziert wird.
Nach bereits erfolgreichen Laborversuchen soll nun in einem Praxisversuch in der Kläranlage Kressbronn a. B.-Langenargen die Wirkung der biogenen Aktivkohle bestätigt werden. „Die Laborversuche beweisen, dass die Reinigungsleistung der Pflanzen-Aktivkohle der der konventionellen Aktivkohle ebenbürtig ist und sie teils sogar übertrifft“, sagt Dr. Korbinian Kaetzl, Wissenschaftler aus dem Fachbereich Grünlandwissenschaft und Nachwachsende Rohstoffe der Universität Kassel, und ergänzt: „Damit wurde ein zukunftsweisendes Konzept dafür entwickelt, wie die Nutzung fossiler Stoffe sowie die Abhängigkeit von Importen reduziert und im Gegenzug die regionale Wertschöpfung gefördert werden kann.“ Erste Messungen weisen darauf hin, dass auch der Praxisversuch gute Ergebnisse liefern wird. Das freut auch Alexander Müller, Betriebsleiter der Kläranlage, der bereits nach einem nachhaltigen Ersatz für die Aktivkohle fossiler Herkunft suchte, als das CoAct-Team an ihn herantrat.
„Auch Kläranlagen sollten in wenigen Jahren CO2-neutral arbeiten. Ein solches Konzept ebnet den Weg dahin“, betonte Matthias Käppeler, Kämmerer der Gemeinde Kressbronn und Geschäftsführer des Zweckverbands Abwasserreinigung Kressbronn a. B.-Langenargen, beim Abschlusstreffen der Konsortialpartner auf dem Gelände der Kläranlage. Der Bedarf an Aktivkohle wird in Deutschland und Mitteleuropa stark ansteigen, und somit werden die Erfahrungen von hier von großem Interesse sein. „Der Pilot für die Nutzung biogener Aktivkohle zieht schon jetzt großes Interesse auf sich“, berichtete Yannic Brüning, Sachgebietsleiter Abwasserentsorgung und Gewässerschutz im Landratsamt Bodenseekreis.
Das Projekt ist beim baden-württembergischen Bioökonomie-Tag am 20. November 2023 mit dem Innovationspreis Bioökonomie ausgezeichnet worden. Anlässlich der Preisverleihung hat das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz einen Kurzfilm zum Projekt veröffentlicht (zum Film “Sauberes Wasser mit nachwachsenden Rohstoffen auf Youtube).
Erfahrungen auf andere Regionen übertragbar
Das Projekt zeigt eine Verwertung für Restbiomassen auf, die bisher nicht oder in wenig wertgebender Weise verarbeitet werden. So kann zum Beispiel (Gehölz-)Schnittgut, das nicht für die Hackschnitzelherstellung geeignet ist, Straßenbegleitgrün oder Mähgut aus Naturschutzgebieten verwertet werden. Die Bodenseeregion habe sich hervorragend als Modellregion für „CoAct“ geeignet, da mit Schutzgebieten, Ausgleichsflächen, Straßenbegleitgrün und Sonderkulturen
verschiedene Flächenkulturen vorhanden sind, erläutert Andreas Ziermann von der Bodensee-Stiftung.
Im Laufe der Forschungen wurde eine Liste mit Reststoffen erstellt, deren Eignung als potenzielle Substrate für die Aktivkohleproduktion untersucht wurden. Diese wurde vor allem mit Blick auf den Bodenseekreis zusammengestellt, berücksichtigt aber auch weitere Biomassen, die für eine Übertragbarkeit der Projektergebnisse auf andere Regionen von Bedeutung sind. Nach Betrachtung von über 30 Biomassen, von denen einige als ungeeignet ausgeschlossen wurden, standen sieben Biomassen im Fokus: Grüngut aus Landschaftspflegemaßnahme, Hopfenhäcksel, Weintrester, Straßenbegleitgrün, Pflegeschnitt Hochstammbäume, Maisstroh und Hecken- und Strauchschnitt.
In einer Verarbeitung nach dem IFBB-Verfahren (Integrierte Festbrennstoff- und Biogasproduktion aus Biomasse) werden die Biomassen in eine feste (Presskuchen) und flüssige Fraktion (Presssaft) aufgeteilt. Die flüssigen Bestandteile können in einer Biogasanlage energetisch verwertet werden. Die feste Fraktion kann zu Aktivkohle weiterverarbeitet werden.
Ökobilanz und ökonomische Bewertung
Eine Evaluierung des CoAct-Technikkonzeptes unterstreicht den ökologischen Mehrwert: Gegenüber der Nutzung der konventionellen Aktivkohle ergab sich eine CO2-Einsparung um den Faktor 10. „In Relation zur aktuellen Verwertung der untersuchten Restbiomassen und unter Berücksichtigung, dass Aktivkohle auf Steinkohlebasis durch regionale Pflanzen-Aktivkohle ersetzt wird, kann für alle untersuchten umwelt- und klimarelevanten Parameter eine deutliche Verbesserung nachgewiesen werden“, so Dr. Korbinian Kaetzl.
Die ökonomische Perspektive ist noch nicht so klar positiv. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die CoAct-Anlage „auf der grünen Wiese“ geplant wurde. Zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Gesamtanlage und zur Nutzung vorhandener Strukturen sei es sinnvoll, die CoAct-Anlage an eine bestehende Anlage zu koppeln. Dabei eignet sich verfahrenstechnisch die Kombination mit einer Kläranlage oder einer Biogasanlage. „Hier können diverse Synergieeffekte genutzt werden, wie die Verwendung von Prozesswasser, Presssaft oder Biogas an bestehenden Anlagenkomponenten“, betont Andreas Ziermann. Auch die Weiterentwicklung der sehr jungen Technik werde die Investitionskosten reduzieren. Zur Überbrückung dieser Phase könnte eine Förderung der Pilotanlage unterstützend wirken.
Der potentiell entstehende Markt ist groß und wächst: Auch andere Länder haben den Bedarf an Aktivkohle zur Abwasseraufbereitung erkannt. Z. B. hat das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz ein Sonderförderprogramm zum Bau von vierten Reinigungsstufen zur weitgehenden Elimination von Spurenstoffen aufgelegt, um den Ausbau in Bayern zu fördern. Als begrenzenden Faktor sieht das Staatsministerium die Verfügbarkeit von Aktivkohle an. „Aus Expertengesprächen konnten wir ein großes Interesse bei Betreibern von Kläranlagen für nachhaltig erzeugte Aktivkohlen feststellen. Die potentielle Wertschöpfung ist groß. Das Preisniveau war lange stabil auf ca. 1.500 Euro pro Tonne Aktivkohle. Seit dem Krieg in der Ukraine verteuerte sich die Aktivkohle teils um den Faktor 2,5“, berichtet Andreas Ziermann.
Wie geht es weiter?
„Wir haben alle einen großen Ansporn, die Umsetzung voranzutreiben“, sagt Volker Kromrey von der Bodensee-Stiftung. Ziel ist, auch über die Projektlaufzeit Ende 2023 hinaus weiterzuarbeiten, um eine Vorplanung einer für die Biomasseverarbeitung und die Pyrolyse geeigneten Anlage übergeben zu können, die vor Ort an der Kläranlage betrieben werden kann. Derzeit gibt es noch keine Anlage in Deutschland, die im großtechnischen Maßstab Aktivkohle aus pflanzlichen Reststoffen herstellt. Für die Entwicklung und Identifizierung geeigneter Förderprogramme wollen sich die Konsortialpartner mit Universitäten und Unternehmen einsetzen. Daneben werde an der Konzeption der standardisierten Aufbereitung des Grünschnitts gearbeitet.
Weitere Informationen zum Projekt und den Projektpartnern auf der CoAct-Projektseite.
Ergänzende Informationen:
Aktivkohle in Kläranlagen
Abwässer werden in Deutschland überwiegend mit den drei Klärstufen (mechanisch, biologisch, chemisch) aufbereitet. Das so geklärte Wasser enthält häufig jedoch noch Spurenstoffe wie Arzneimittelrückstände, Kosmetika, Reinigungs- und Pflanzenschutzmittel sowie andere Chemikalien. Sukzessive werden Kläranlagen in Deutschland um eine vierte Reinigungsstufe erweitert, um diese Substanzen aus dem Abwasser entfernen zu können. Dies erfolgt mittels Ozonung oder mit granulierter oder pulverförmiger Aktivkohle. Die Aktivkohle fungiert hierbei wie ein poröser Schwamm, an bzw. in dem sich Schadstoffe anhaften und mit der Kohle dem Abwasser entzogen werden. Die Aktivkohle, die hierzulande für die Filterung eingesetzt wird, ist in aller Regel importiert, nicht selten unter ökologisch und sozial fragwürdigen Bedingungen hergestellt und fossilen Ursprungs (überwiegend aus Stein- oder Braunkohle). In den zurückliegenden Jahren hat sich zudem ihr Preis stark erhöht, auch gab es Lieferengpässe.
Der Zweckverband Abwasserreinigung Kressbronn-Langenargen verarbeitet derzeit rund 25 bis 30 Tonnen Aktivkohle im Jahr. Aktuell sind für die Reinigung von 1000 Litern Wasser zwischen 7 und 20 Gramm Aktivkohle nötig. Im Bodenseekreis verfügen 80 Prozent der Kläranlagen über eine vierte Reinigungsstufe, in Baden-Württemberg sind 29 Anlagen in Betrieb, die meisten darunter setzen Pulveraktivkohle ein, 28 befinden sich in Planung oder Bau (Stand Oktober 2023).
Produktion von Aktivkohle aus pflanzlichen Reststoffen
Eine Möglichkeit, grasartige Restbiomasse in Wert zu setzen, ist das IFBB-Verfahren (Integrierte Festbrennstoff- und Biogasproduktion aus Biomasse). Dabei werden Biomassen zerkleinert und in 40 Grad warmem Wasser für 15 Minuten gemaischt. Anschließend werden sie mittels einer Exzenterschnecke in eine feste und flüssige Fraktion aufgeteilt. Die flüssigen Bestandteile (Presssaft) können in Vergärungsanlagen in Biogas und anschließend in Strom und Wärme gewandelt werden. Die feste Fraktion (Presskuchen) kann mittel Pyrolyse und Aktivierung zu Aktivkohle weiterverarbeitet werden.
Bei der Pyrolyse, die bei bis zu 900 Grad Celsius erfolgt, werden flüchtige organische Verbindungen der Biomassen ausgetrieben und der organische Kohlenstoff karbonisiert. Die dabei entstehenden Pyrolysegase werden bei bis zu 1.200 Grad Celsius vollständig verbrannt und die dabei entstehende Abwärme zum Beheizen des Pyrolysereaktors verwendet. Um die spezifische Oberfläche der karbonisierten Restbiomassen und damit die „Aufnahmekapazität“ der Kohle zu erhöhen, wird Wasserdampf in den Pyrolysereaktor eingetragen. Durch die damit erfolgende Oxidation des organischen Kohlenstoffs wird die Oberfläche erhöht, die Kohle also „aktiviert“. So wird aus Restbiomasse nicht nur Pflanzenkohle, sondern hochwertige Aktivkohle.
Überprüfung der Wirkung der biogenen Aktivkohle
Um die Reaktionsfreudigkeit der biogenen Aktivkohlen zu beurteilen, wurde die Verringerung des spektralen Absorptionskoeffizienten (SAK(254)) aus Klärwasserproben untersucht. Der spektrale Absorptionskoeffizient dient dazu, die Summe der gelösten organischen Wasserinhaltsstoffe mit Hilfe von Labor- oder Prozessphotometern zu bestimmen. Es wurden auch die Entfernungsleistungen von Einzelsubstanzen (z. B. Diclofenac) betrachtet. Bei beiden konnte festgestellt werden, dass die Entfernungsleistungen mehrerer biogener Aktivkohlen sogar über denen konventioneller Kohlen liegen. Dr. Korbinian Kaetzl fasst die Ergebnisse zusammen: „Damit ist der Nachweis erbracht, dass biogene Aktivkohlen grundsätzlich geeignet sind, fossile Kohlen zu ersetzen. Mit dem CoAct-Verfahren kann der Markt für Aktivkohle mit regional, nachhaltig und biobasiert produzierter Aktivkohle bedient werden.“
Definition und Klassifizierung von Restbiomassen
Im Forschungsprojekt CoAct wird der Begriff „Restbiomassen“ für alle pflanzlichen Rest- und Abfallstoffe verwendet, die bei Produktionsprozessen (z.B. dem Anbau landwirtschaftlicher Produkte) und der Erstellung von Dienstleistungen (z.B. der Flächen- und Landschaftspflege) in der Forschungsregion anfallen. Für die Verarbeitung der Restbiomassen nach dem CoAct-Verfahren erfolgte eine Klassifizierung der Biomassen in holzige und grasartige Restbiomassen. Holzige Restbiomassen, wie beispielsweise Hochstammschnitt und Forstrestholz können direkt pyrolysiert und aktiviert werden. Grasartige Restbiomassen (z.B. Straßenbegleitgrün, Landschaftspflegematerial oder Weintrester) hingegen benötigen eine Aufbereitung durch das IFFB – Verfahren, um den Mineralstoffgehalt und insbesondere korrosive Bestandteile der Biomassen, wie beispielsweise Chlor und Schwefel zu reduzieren.
Quantifizierung von Restbiomasse in der Projektregion
Die Bodensee-Stiftung hat als regionaler Projektkoordinator in enger Zusammenarbeit mit dem Bodenseekreis und der Stadt Friedrichshafen die verfügbaren Restbiomassenmengen in der Projektregion ermittelt. Das durch Experteninterviews und zahlreiche Datenerhebungen ermittelte Restbiomassepotenzial in der Untersuchungsregion beläuft sich theoretisch auf ca. 100.000 Tonnen (Trockenmasse) pro Jahr. Unter Berücksichtigung aktueller Ergebnisse aus dem laufenden Projekt könnten aus diesen Restbiomassen etwa 10.000 Tonnen regionale Aktivkohle hergestellt werden.