Altschorenhof in Mühlingen ist Vorreiter-Betrieb im Projekt „Insektenfördernde Regionen“ der Bodensee-Stiftung – Erhalt der Biodiversität auch für konventionell arbeitende Landwirte wichtig.
„Ob die Schmetterlinge jetzt hier wären, wenn es den Blühstreifen nicht gäbe?“, fragt Andreas Deyer mit Blick auf ein abgeerntetes Feld, das mit einem Band von blauen und gelben Blüten durchzogen ist. Der Blühstreifen sorgt nicht nur zur Freude von Spaziergängern für Farbe, sondern bietet Insekten wie den Schmetterlingen einen reich gedeckten Tisch, wenn das Nahrungsangebot andernorts nicht mehr so dick gesät ist. Andreas Deyer könnte den Streifen auch bewirtschaften und Ertrag ernten. Doch der Mühlinger Landwirt hat sich dafür entschieden, zugunsten des Insektenschutzes auf Produktionseinnahmen zu verzichten.
Bodensee ist Modellregion – Ergebnisse sollen übertragbar sein
Der Altschorenhof ist einer von knapp 60 engagierten Demonstrationsbetrieben im Projekt „Insektenfördernde Regionen“ (IFR). In sieben Pilotregionen in Deutschland und Italien erproben unterschiedliche Partner Maßnahmen für den Insektenschutz und den Erhalt der Biodiversität – unter anderem auch am Bodensee. Dabei werden die Demonstrationsbetriebe am See von Mitarbeiter*innen der Bodensee-Stiftung beraten und bei der Umsetzung der Maßnahmen begleitet. Ein Monitoring externer Insekten-Expert*innen prüft deren Wirkung. Die Empfehlungen aus dem Projekt sollen auf Anbauregionen in Deutschland und Europa übertragen werden können.
Die Motivation, sich für das Wohl von Insekten noch stärker zu engagieren, wuchs bei Andreas Deyer durch das Volksbegehren „Rettet die Bienen“. „Damit war das Thema in aller Munde“, erinnert sich Deyer, der auch Kreisvorsitzender des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV) in Stockach ist. Mit der Teilnahme am Projekt der Bodensee-Stiftung will er zeigen, was Landwirt*innen bereits für den Insektenschutz tun und auch die Wirkung der Maßnahmen überprüfen lassen. „Und wir wollen ausprobieren, was wir darüber hinaus tun können“, sagt Deyer. Mit elf Mitarbeiter*innen bewirtschaftet er den Hof mit 140 Milchkühen und 150 Hektar Acker- und Grünland. Ein Teil der Milch fließt in das in der Region bekannte Hofeis.
Wertvoller Austausch von Naturschutz und Landwirtschaft
Andreas Deyer schätzt im Projekt die konstruktive Zusammenarbeit von Naturschutz und Landwirtschaft. „Es ist spannend mitzumachen und im Austausch mit allen Beteiligten gangbare Wege zu finden“, sagt der Landwirt. So habe er im IFR-Projekt zum Beispiel viel darüber gelernt, welche Pflanzen für welche Insekten attraktiv sind. Andererseits habe er vermittelt, dass die Nutzung von Altgrasstreifen – wie im Projekt ursprünglich angedacht – für ihn bzw. seine Tiere nicht interessant ist: „Das schmeckt einfach nicht“, sagt er lachend und erläutert, dass Altgras die Silage geschmacklich beeinträchtige. Da er die Maßnahme jedoch für sinnvoll hält, verarbeitet er das Altgras nun für Kompost.
Die gemeinsame Aussaat von Mais mit Stangenbohnen beobachtet der Landwirt noch kritisch. Zwar böten die Bohnen als blühende Untersaat Insekten eine im Jahreslauf relativ späte Pollen- und Trachtquelle. Der Plan, durch die Bohnen mehr Eiweiß in die Silage zu bringen, habe dagegen noch nicht wie erhofft, gefruchtet. „Die Bohnen sind entweder zu klein oder reifen nicht aus“, so seine bisherige Erfahrung.
Der Landwirt ist auf die Monitoring-Ergebnisse gespannt. Sind sie überzeugend, hält er es für gerechtfertigt, auch die Landmaschinentechnik entsprechend neu auszurichten: „Es gibt Maßnahmen, die sollten wir einfach umsetzen. Und dann kann sich auch die Technik anpassen“, sagt er entschlossen. Eine Haltung von einem konventionell arbeitenden Landwirt, die manchen überraschen mag. „Alles, was nicht Bio ist, wird in einen Topf geworfen. Dabei gibt es in der konventionell arbeitenden Landwirtschaft viele Abstufungen“, sagt der BLHV-Vorsitzende. Ein Großteil der Kollegen sei offen gegenüber Naturschutzthemen. So habe er selbst schon früher Gras unter Sommergerste angesät, schließlich biete eine solche Untersaat viele Vorteile: Da keine Bodenbearbeitung nötig ist, wird nicht unnötig CO2 freigesetzt. Der Boden hält Wasser besser, die Untersaat bietet Nährstoffe und Lebensraum für Bodenlebewesen. „Und jetzt schaut man, dass da auch etwas blüht“, so seine Lehre aus dem IFR-Projekt.
Auch Landwirt*innen, die nicht im Projekt mitarbeiten, können überprüfen, wie ihr Betrieb in Sachen Biodiversität aufgestellt ist. Im Rahmen des IFR-Projekts wurde ein Biodiversitätsmesssystem entwickelt, das bewertet, wieviel Lebensraum potenziell durch vorhandene Strukturen (wie Hecken, extensives Grünland, Brachen, Blühstreifen, Streuobst uvm.) und durch die Wirtschaftsweise zur Verfügung stehen. Die Landwirt*innen beantworten dazu in dem Online-Programm Fragen aus mehreren Themenblöcken und erhalten eine ausführliche Auswertung in Form eines Ampelschemas. „81 Indikatoren machen anschaulich, welche Bereiche ihres Betriebs aus Sicht der biologischen Vielfalt schon gut dastehen und welche aus Insektensicht verbessert werden sollten. „Manche Verbesserung lässt sich recht schnell und einfach verwirklichen, andere möglicherweise erst bei einer größeren betrieblichen Umstellung in einigen Jahren“, so Projektmanagerin Christine Kewes.
Kosten und Mehraufwand
Biodiversitätsfördernde Maßnahmen machen teils mehr Arbeit, teils kosten sie auch mehr Geld. Doch Andreas Deyer wäre der Blick auf die Kosten zu kurz gedacht, schließlich seien die Insekten „für unsere Landwirtschaft ein wichtiger Dienstleister, da wir von und mit der Natur leben.“ Ziel des Projekts ist deshalb zum einen, innovative Maßnahmen zu erproben, zum anderen mit der Kommunikation der Projektergebnisse Politik und Lebensmittelhandel zu vermitteln, dass Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen weiter zu überdenken sind. Blühstreifen beispielsweise werden bereits gefördert. Auch die Unterstützung des Mischanbau von „Mais mit Gemengepartnern“, wie Stangenbohnen, erfolgt seit 2023 über das Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT II). „In unserem Projekt versuchen wir, die Erkenntnisse der Vorreiterbetriebe nicht nur den politischen Entscheidungsträgern, sondern auch den Unternehmen der Lebensmittelbranche zu vermitteln. Damit nicht nur die Landwirte, sondern alle Akteure in den Lieferketten mehr Verantwortung für eine insektenfördernde Bewirtschaftung übernehmen“, sagt Projektleiter Patrick Trötschler von der Bodensee-Stiftung.
Biodiversität in der landwirtschaftlichen Ausbildung
Andreas Deyer leitet den Bildungsausschuss für „grüne Berufe“ im BLHV. Derzeit werde die Novellierung der Landwirtschaftsausbildung diskutiert. Hier soll neben Themen wie Klimaschutz und der Reduktion von Pflanzenschutzmitteln auch die Biodiversität eine größere Rolle einnehmen, kündigt er an. Projekte wie „Insektenfördernde Regionen“ trügen dazu bei. Noch im September wird eine Berufsschulklasse den Hof besuchen und die biodiversitätsfördernden Maßnahmen kennenlernen. An Plänen mangelt es Andreas Deyer nicht. „Es fehlt manchmal die Zeit, aber wir versuchen so gut wie möglich mitzumachen.“
Bildtext: Andreas Deyer vom Altschorenhof in Mühlingen bietet zum Beispiel mit Ringelblume, Borretsch und Bienenweide im Blühstreifen inmitten eines geernteten Getreidefelds Insekten Nahrung. Rechts im Bild ist ein Streifen Sonnenblumen am Feld- und Wegrand zu sehen – auch sie sind eine Maßnahme, um Insekten mehr und zusammenhängenden Lebensraum zu bieten. Bildquelle: Bodensee-Stiftung
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