Kommunen, Wirtschaft und Wissenschaft zeigen bei Tagung auf der Insel Mainau Wege zur Energie- und Wärmewende auf. Fazit: Es ist noch sehr viel zu tun, um die gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen.
Inspiration, Information, Motivation und viel Austausch hat auch die diesjährige Tagung „Energiesysteme im Wandel – Chancen für die Region“ geboten. Zum 23. Mal hatten die solarcomplex AG, die Insel Mainau GmbH, die Landesforstverwaltung BW und die Bodensee-Stiftung zur zweitägigen Konferenz eingeladen. In diesem Jahr stellten die Referent*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung alternative Energiequellen neben Solar- und Windkraft sowie kommunale Klimaschutz- und Wärmewendestrategien vor.
Die Vorträge stehen nun zum Nachschauen kostenlos zur Verfügung.
Wo steht Baden-Württemberg auf dem Weg zur Klimaneutralität?
Zum Auftakt setzte die Keynote von Maike Schmidt, Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse am Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung in Baden-Württemberg, einen aufrüttelnden Impuls. Auf die Frage „Wo steht Baden-Württemberg auf dem Weg zur Klimaneutralität?“ machte sie mit aktuellen Daten zu den Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft anschaulich deutlich: Es gibt noch sehr viel zu tun, um die gesetzten Ziele zur Klimaneutralität bis 2040 und den Zwischenzielen bis 2030 zu erreichen. Aber: „Baden-Württemberg kann Klimaschutz“, betonte sie. In zahlreichen Leuchtturmprojekten werde dies auf den unterschiedlichsten Ebenen erfolgreich demonstriert. Nun brauche es unter anderem eine Transformationskultur, ein unumstößliches, parteiübergreifendes „Ja“ zum Klimaschutz, die Bereitschaft zur Veränderung und das „Machen“. Baden-Württemberg müsse gezielt die Instrumente auf Bundes- und EU-Ebene nutzen und mit schlagkräftigen eigenen Maßnahmen verstärken. Die Finanzierungsspielräume müssten von Land und Kommunen zusammen mit dem Bund erweitert werden, forderte sie.
Landkreis Konstanz kann sich mit erneuerbaren Energien versorgen
Auch die folgenden Beiträge zeigten: Ohne finanzielle Anstrengungen sind Energie- und Wärmewende nicht zu schaffen. Aber sie sind zu schaffen, betonte Bene Müller, Vorstand der solarcomplex AG. In einer Aktualisierung der „Potentialstudie Erneuerbare Energien im Landkreis Konstanz“ zeigte er, dass vor allem bei Dach- und Freiflächen-Photovoltaik großes Potenzial ungenutzt ist. Sein Resümee: „Wir schaffen die Energiewende im Landkreis bis 2030 sicher nicht. Aber dass wir uns im Landkreis mit erneuerbaren Energien versorgen, ist machbar.“ Schon in seiner Begrüßung hatte er eindringlich gefordert: „Die Abkehr von fossilen hin zu alternativen Energien muss uns gelingen“ und mit Blick auf die jüngsten Überschwemmungen ergänzt: „Im Gegensatz zur Physik lässt sich Politik ändern.“
Alternative Energiequellen: Von Bioabfällen bis Abwasser
Eine oft unterschätzte Energiequelle präsentierte Christian Goldschmidt, Geschäftsführer der RETERRA Hegau-Bodensee GmbH. Das Kompostwerk vergärt in der eigenen Biogasanlage jährlich 75.000 Tonnen Bioabfälle. Aus den so gewonnenen sieben Millionen Kubikmetern Biogas werden in zwei Blockheizkraftwerken rund 16 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugt – genug für z.B. ein Drittel der Singener Haushalte. Einen Teil nutzt RETERRA selbst, der Rest wird ins öffentliche Netz eingespeist. Die Abwärme ist noch ungenutzt, was Goldschmidt gerne baldmöglichst ändern würde.
Wie industrielle Abwärme sogar grenzüberschreitend genutzt werden kann, zeigte Sabine Schimetschek, Geschäftsführerin von CALORIE Kehl-Straßburg. Rund 19.600 Tonnen CO2 sollen jährlich eingespart werden, wenn Abwärme der Badischen Stahlwerke in Kehl rund 7000 Haushalte im Nahwärmenetz Straßburg versorgt. Die erste Wärmelieferung ist für 2027 geplant.
Eine weitere unterschätzte Energiequelle: Wärme aus dem Abwasserkanal. Fünf bis 15 Prozent des Wärmebedarfs im Gebäudesektor könnten in Deutschland mit Wärme aus dem Abwasserkanal gedeckt werden, sagte Philip Jung, Projektentwicklung und Technik der UHRIG Energie GmbH. „Die Infrastruktur ist mit Kanalnetzwerk und 9000 Kläranlagen in Deutschland da. Was fehlt, sind Wärmetauscher.“ Diese könnten sowohl in bestehende wie neue Kanäle eingebaut werden, zeigte er an zahlreichen Beispielen.
Einige hundert Meter tiefer blickte Prof. Dr. Ingrid Stober, Landesforschungszentrum Geothermie, die die Funktionsweise und Nutzbarkeit von Geothermie im süddeutschen Molassebecken erläuterte.
Wie energetische Sanierung den Einsatz regenerativer Energien ergänzen kann, zeigte Kai Feseker, Geschäftsführer der Baugenossenschaft Hegau e. G.. Am Beispiel einer achtstöckigen Häusergruppe in Singen zeigte er, dass auch Wohngebäude aus den 60er Jahren nach einer Modernisierung KFW 70-Standard erfüllen können.
Energie- und Wärmewendestrategien von Kommunen vor Ort
Wie sehen die Konzepte von Städten und Gemeinden sowie kommunaler Versorger vor Ort aus? Hierzu erlaubten die Städte Konstanz und Radolfzell, der Landkreis Lörrach und das „Stadtwerk am See“ mit Beispielen zu geplanten bzw. modernisierten und weiterentwickelten Wärmenetzen Einblicke.
Schon eingangs hatte Dr. Anja Peck, Leiterin der mitveranstaltenden Forstdirektion am Regierungspräsidium Freiburg, die Besonderheit der Tagung hervorgehoben: „Hier präsentieren Praktiker ihre Erfahrungen, und zwar ehrlich.“ Die Konferenzgäste könnten von deren Erfolgen lernen, ohne deren Fehler wiederholen zu müssen.
So zeigten der Radolfzeller Oberbürgermeister Simon Gröger mit Tobias Hagenmeyer, Geschäftsführer der Stadtwerke Radolfzell, und Stefanie Hambalek, Leiterin des Technischen Services der Stadtwerke Radolfzell, mit der Vorstellung der kommunalen Wärmeplanung der Stadt Radolfzell sowie Ulrich Hoehler, Erster Landesbeamter Landkreis Lörrach, der die Wärmewendestrategie des Landkreises Lörrach vorstellte, mit welchen technischen, politischen und kommunikativen Herausforderungen Kommunen konfrontiert sind. Dabei wurde auch deutlich: Die Energiewende gelingt nur mit der Bürgerschaft. Wie die Stadt Konstanz die Veränderungsbereitschaft der Bürger*innen fördern will, zeigte Philipp Baumgartner, Leiter des Amts für Klimaschutz. Unter anderem suchen Energieberater*innen aktiv den Kontakt zu Hauseigentümer*innen. Förderprogramme werden kommuniziert, jede*r kann in einen Klimafonds einzahlen, der lokale Klimaprojekte unterstützt und wer tatkräftig anpacken will, kann sich auf der Mitmachplattform „Hände für die Energiewende“ eintragen, so dass Handwerker*innen Personalmangel ausgleichen können.
Dass sich der Einsatz lohnt und „Erneuerbare“ für eine Gemeinde finanziell rentieren, unterstrich der Tengener Bürgermeister Selcuk Gök mit beeindruckenden Zahlen aus seiner Gemeinde, die im Landkreis Konstanz mit Freiflächen- und Dach-PV-Anlagen, Biogas und Windkraft den breitesten Energiemix aufweist.
“Die Energiewende ist richtig und wichtig”
Damit erfüllte er die Forderung von Jörg Dürr-Pucher, Präsident der Bodensee-Stiftung, zur Tagungseröffnung: „Wir müssen herausstellen, dass 2040 mit alternativen Energien nicht nur machbar, sondern im Gegensatz zum ‚Weiter so‘ auch schöner und besser wird.“ Er sieht Baden-Württemberg nicht davor gefeit, dass auch hier Klimaleugner mehr Macht bekommen. „Mein großer Wunsch: Seien wir politischer, reden wir mehr und zeigen wir, dass die Energiewende richtig und wichtig ist“.
Nächste Tagung am 25. und 26. September 2025
Dass auch für die 24. Konferenz Redebedarf besteht und die Themen nicht ausgehen, zeigte die Erhebung von Programmwünschen bei den Gästen. Die nächste Tagung findet am 25. und 26. September 2025 auf der Insel Mainau statt. Die Vorträge der jüngsten Veranstaltung sind wie schon die der Vorjahre auf der Website www.bioenergie-region-bodensee.de abrufbar.