Informationspool für Obstbau und Interessierte: Obstbau-Modellanlagen in Baden-Württemberg bestätigen die Wirkung von Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt. Ergebnisse und Schulungsunterlagen stehen kostenlos zur Verfügung, die Anlagen dienen weiterhin als Exkursionsziele.
Der Rückgang der biologischen Vielfalt ist neben dem Klimaschutz eine unserer größten gesellschaftlichen Herausforderungen. Dabei ist auch der Rückgang der Biodiversität in der Agrarlandschaft vielfach belegt. Dies betrifft in besonderer Weise auch die biologische Vielfalt in Obstbaumkulturen. Doch auch der Erwerbsobstbau kann Maßnahmen umsetzen, die die biologische Vielfalt schützen bzw. fördern. Das Wissen darum ist vorhanden. Wie kann dieses Wissen in die Praxis übertragen werden? Auf diese Frage Antworten zu geben war Ziel des Projekts „Obstbau-Modellanlagen zur Förderung der Biologischen Vielfalt“. Obstbäuerinnen und Obstbauern sollen in ihren Bemühungen zugunsten der Biodiversität und dabei speziell der Insektenvielfalt unterstützt werden. Das Projekt wurde vom Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum (MLR) im Rahmen des Sonderprogramms zur Stärkung der Biologischen Vielfalt gefördert.
Wissensvermittlung fußt auf verschiedenen Säulen
Im Laufe der Projektzeit (Oktober 2019 – Dezember 2023) wurden sechs Obstbau-Modellanlagen in den Haupt-Obstanbauregionen des Landes mit biodiversitätsfördernden Maßnahmen aufgewertet wie z.B. durch Blühstreifen, blühende Fahrgassen, Nisthilfen für Vögel und Wildbienen, Totholz-/Steinhaufen, die Pflege von extensiven Strukturen, die Pflanzung von schorfresistenten Sorten und einigen mehr.
Die Anlagen sollen auch über das Projektende hinweg vor allem als Exkursionsziel für Fortbildungen und zum fachlichen Austausch zwischen Obstbaubetrieben als auch zwischen Interessierten aus den Bereichen Naturschutz und Verbraucher dienen. Gerade der direkte Austausch mit den Bewirtschafter*innen der Modellanlagen, die bereits ihre individuellen Erfahrungen bei den Umsetzungen der Maßnahmen gemacht haben, sind wertvolle Informationen für alle interessierten Besuchenden und können zu einem wertvollen Austausch beitragen.
Wer an einer Exkursion interessiert ist, kann sich direkt mit den Modellanlagen-Betrieben in Verbindung setzen (Adressen auf der Projekt-Website).
Schulungs- und Informationsunterlagen stehen allen Interessierten zur Verfügung
Parallel zur Etablierung der Modellanlagen wurden Schulungs- und Informationsunterlagen rund um das Thema Biodiversität in Obstanlagen erarbeitet. Diese stehen allen Interessierten sowohl über die Projekthomepage als auch über die landeseigene Moodle-Plattform der Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum (LEL) zur Verfügung.
Zielgruppe der Schulungs- und Informationsunterlagen sind in erster Linie die Studierenden der (Fach-)Schulen für Obstbau sowie obstbauliche Beratungskräfte, die Informationen daraus ziehen und diese in ihren Beratungsalltag integrieren können. Die Schulungs- und Informationsunterlagen gliedern sich in verschiedene Module:
• Basis-Modul: Grundlegende Informationen zur Biodiversität, Beschreibung biodiversitätsfördernder Maßnahmen, weiterreichende Hintergrundinformationen zu den verschiedenen Maßnahmenbereichen
• Basis-Exkursionsangebot: Ideen für Exkursionen mit entsprechenden Tipps und Hilfsdokumenten
• Modulares Angebot: Informationen zu speziellen Themenbereichen – Blühstreifen, Strukturen, naturnahe Bewässerungsteiche und Bodennistplätze für Wildbienen
Fast jedes Modul enthält eine (PowerPoint-)Präsentation mit interaktiven Elementen, ein Lehrmodul (Vorschlag für Lehr- oder Beratungskraft für den Ablauf einer Unterrichtseinheit bzw. einer Exkursion), Aufgaben für Studierende und hilfreiche Hintergrundinformationen zu den einzelnen Themen.
Informativ ist auch ein rund zwanzigminütiges Lehrvideo, das gemeinsam mit der Landsiedlung Baden-Württemberg im Rahmen der gesamtbetrieblichen Biodiversitätsberatung gedreht wurde. Obstbauer Thomas Romer, der in Litzelstetten am Bodensee eine der sechs Modellanlagen bewirtschaftet, berichtet darin über die umgesetzten Maßnahmen in seiner Anlage und erläutert eindrücklich, warum sie aus seiner Sicht Sinn machen. Anne Föllner, Projektleiterin der Flächenagentur Baden-Württemberg, steuert ergänzende Informationen bei.
Monitoring zeigt einen Trend zu höheren Arten wie auch Individuenzahlen
Die Erhebung von Flora und Fauna auf den Modellflächen stellt das zentrale Instrument für die Erfolgskontrolle der Biodiversitätsförderung dar. Obwohl aufgrund der begrenzten Projektlaufzeit nur über vier Jahre ein Monitoring durchgeführt werden konnte, zeigten sich schon positive Tendenzen. Auf jeder Modellanlage wurde in mehreren Begehungen jährlich zwischen März und August der Bestand von Vögeln, Wildbienen, Heuschrecken sowie die Vegetation aufgenommen. Auf Basis der Monitoring-Ergebnisse können die Maßnahmen weiter verbessert und damit das Potenzial der Obstanlagen für den Naturschutz besser genutzt werden. Die Monitoring-Ergebnisse sind ebenfalls auf der Projektwebsite zu finden.
Bei Vögeln wurde je nach Modellfläche entweder schon im ersten oder zweiten Jahr nach Beginn der Maßnahmen ein Anstieg der Individuenzahl und Artenzahl beobachtet. Auch die Individuenzahl der beobachteten Heuschrecken ist seit Beginn der Beobachtungen in allen Modellanlagen tendenziell gestiegen. Entsprechendes gilt auch für die Anzahl der Heuschreckenarten.
Das Wildbienenmonitoring zeigte schon zwei Jahre nach Beginn der Maßnahmenumsetzung einen Anstieg der Artenzahlen sowie der Individuenzahlen. „Die insgesamt höheren Arten- und Individuenzahlen zeigen, dass das Bündel von Maßnahmen zu einer weiteren Verbesserung für die Wildbienen geführt hat“, heißt es in dem Bericht.
„Wenn man der Natur mehr Lebensraum zur Verfügung stellt, wird er angenommen“, sagt Sabine Sommer, Projektleiterin seitens der Bodensee-Stiftung. „Es hat alles sehr gefruchtet“, bestätigt Anne Föllner von der Flächenagentur Baden-Württemberg, die unter anderem einen Teil des Monitorings durchführt. Das Projekt wurde von der Flächenagentur Baden-Württemberg gemeinsam mit der Bodensee-Stiftung koordiniert, von der Landsiedlung Baden-Württemberg getragen und vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz gefördert.
Aus Projektsicht bedarf es noch weiterer Anstrengungen, um die Maßnahmenumsetzung in den Obstanlagen weiter voranzutreiben:
• Inwertsetzung der Biodiversitätsleistungen – fairer Lieferpreis und die finanzielle Förderung der einzelnen Maßnahmen
• Feste Integrierung des Themas Biodiversität in den Lehrplan der obstbaulichen (Fach-)Schulen
• Weitere Forschungen zu den Wirkungen der Maßnahmen und deren Verbesserung
Weitere Informationen:
Biodiversitätsverlust im Obstbau:
Im Obstbau hat über viele Jahre hinweg ein Wandel vom traditionellen Hochstamm-Streuobstbau hin zum intensiv bewirtschafteten Niederstammobstanbau stattgefunden. Dies wiederum führte zunächst zu einer Reduktion landschaftlicher Strukturen sowie im weiteren Verlauf zu einer Reduktion der Sortenvielfalt, einer verstärkten Mechanisierung der Bewirtschaftung und einer Intensivierung des Pflanzenschutzes. Der Obstbau-Strukturwandel hat somit Auswirkungen auf alle drei Merkmale der Biodiversität: Lebensraumvielfalt, genetische Vielfalt und Artenvielfalt.
Die Projektpartner
Von Oktober 2019 bis Dezember 2023 koordinierte die Flächenagentur Baden-Württemberg mit Unterstützung der Bodensee-Stiftung das landesweite Projekt „Obstbau-Modellanlagen zur Förderung der Biologischen Vielfalt“. Die Umsetzung erfolgte in enger fachlicher Zusammenarbeit mit der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg (LVWO), dem Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee (KOB), dem Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg (LTZ), den beteiligten Obstbaubetrieben sowie der Landsiedlung Baden-Württemberg GmbH.
• Flächenagentur Baden-Württemberg GmbH
• Landsiedlung Baden-Württemberg GmbH
• Bodensee-Stiftung
• Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee (KOB)
• Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg (LVWO)
• Landwirtschaftliches Technologiezentrum Augustenberg (LTZ)
• Obsthof Romer, Litzelstetten
• Obsthof Karin Scherzinger, Ittendorf
Eine Auswahl biodiversitätsfördernde Maßnahmen:
• (Fahrgassen-)Blühstreifen
• Alternierendes Mulchen / Mähen
• Extensive Randstrukturen
• Vogelnistkästen
• Wildbienenhotel
• Reduzierter Pflanzenschutzmitteleinsatz
• Ankerpflanzen
• Hecken / Leuchtturmbäume
• Greifvogelsitzstangen
• Einsatz krankheitsresistenter Sorten
• Stein-/Holzhaufen
Umfassende weitere Informationen zum Projekt und den Ergebnissen auf der Projektwebsite.