98 Prozent der im Rahmen des Projekts entnommenen Wasserproben weisen Mikroplastikverschmutzung auf. Zu den Hauptverursachern zählen Plastiktüten, Kosmetika, Verpackungen, Kleidung und Reifen.
Bei einer Konferenz sind nun die Ergebnisse von „LIFE Blue Lakes“ präsentiert worden, einem von der Europäischen Kommission finanzierten italienisch-deutschen Projekt, dessen Ziel es ist, Mikroplastik in Seen zu vermeiden und zu reduzieren. Zum Projekt Blue Lakes wurde ein Layman’s Report (zum Download) veröffentlicht.
Mikroplastik ist allgegenwärtig, wie hoch die tatsächliche Belastung jedoch ist, ist schwer zu beziffern. In den italienischen Seen Bracciano, Trasimeno und Piediluco wurden nun mit einem im Rahmen des Projekts entwickelten wissenschaftlichen Protokoll über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt 9.000 Kunststoffpartikel mit einer Größe von weniger als 5 Millimetern gesammelt, 98 Prozent der entnommenen Wasserproben waren belastet. Die Analyse dieser Partikel ergab, dass es sich dabei hauptsächlich um Polyethylenfragmente handelt, die auf alte Plastiktüten zurückzuführen sind. Mikroplastik wurde auch in drei Trinkwasseraufbereitungsanlagen und zwei Kläranlagen am Gardasee und in Castreccioni in der Provinz Macerata quantifiziert und analysiert. Hier werden zwischen 30 bis 90 Prozent des Mikroplastiks zurückgehalten, das hauptsächlich aus Fragmenten und Fasern aus Polyester und Polypropylen besteht, die für technische und Sportkleidung verwendet werden – ein einziger Waschgang in der Waschmaschine kann bis zu einer Million Mikrofasern freisetzen.
Die Erarbeitung von wissenschaftlichen Protokollen für die Probenahme und Analyse von Mikroplastik in Seen, Trinkwasser- und Kläranlagen war ein zentrales Ziel des Projekts, das erreicht wurde und das eine wichtige Grundlage für die in den neuen europäischen Verordnungen vorgesehene Definition des Gesundheitszustands von Binnen- und Meeresgewässern sowie Gewässern für den menschlichen Gebrauch bilden kann.
Ein weiteres Ziel des von der italienischen Umweltorganisation Legambiente koordinierte und in Zusammenarbeit mit dem Global Nature Fund (GNF), der Bodensee-Stiftung und weiteren Partnern umgesetzten Projekts war die Ausarbeitung des sogenannten Seenpapiers. 40 Anrainer-Gemeinden der fünf Projektseen (Bodensee, Chiemsee, Gardasee, Bracciano-See, Trasimeno-See) und etwa 80 Interessengruppen, darunter regionale Behörden, Unternehmen, Reiseveranstalter und Verbände, gehen darin eine freiwillige Selbstverpflichtung ein, um zur Verringerung des Plastikmülls beizutragen: von der Verbesserung der getrennten Müllsammlung, der Pflege der Seeufer, über Umweltbildung bis hin zu Investitionen zur Verbesserungen der Wasseraufbereitungsanlagen.
Gemeinsames Handeln aller Akteure gefragt
Eine weitere Projektmaßnahme war eine Lobbykampagne für europäische Kosmetik-, Outdoor-Bekleidungs- und Reifenhersteller. Mehr als 250 Unternehmen wurden über die Risiken von Mikroplastik in Verbindung mit ihren Produkten informiert, 20 haben Interesse an einer Zusammenarbeit gezeigt. Am schnellsten reagierte die Outdoor-Bekleidungsindustrie, während die Kosmetikindustrie sich zögerlich zeigte. Eine am 25. September 2023 von der EU Kommission bekanntgegebene neue Verordnung verbietet nun den Verkauf von Produkten, die Mikroplastik abgeben, darunter auch Kosmetika wie Peelings und Glitter. Die neuen Vorschriften sollen die Freisetzung von etwa einer halben Million Tonnen Mikroplastik in die Umwelt verhindern (Der SWR berichtete am 6. Okbober in seinen Sendungen SWR aktuelle über die Verordnung und die Situation am Bodensee, mit Dimitri Vedel als Gesprächspartner, hier der Link zu SWR Aktuell, der Beitrag ist ab 7.20 zu sehen).
In seiner Rede auf der Abschlusskonferenz betonte Giorgio Zampetti, Generaldirektor von Legambiente, die Bedeutung interdisziplinärer und grenzüberschreitender Zusammenarbeit beim Kampf gegen Mikroplastik: “Obwohl die Forschung zu Mikroplastik in Binnengewässern in den letzten Jahren zugenommen hat, gibt es noch viel über die Verteilungsdynamik von Mikroplastik in diesen Umgebungen und auf Ebene der Einzugsgebiete zu lernen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die politischen Entscheidungsträger:innen weiteren Fortschritten beim Forschungsstand Vorrang einräumen, unter anderem durch die Förderung der Standardisierung von Messmethoden und der internationalen und interdisziplinären Zusammenarbeit. Nur so können wir die Ausbreitung von Mikroplastik in den Ökosystemen von Seen und Flüssen verhindern. Wir befinden uns an einem Punkt in der Geschichte, an dem das Verständnis für den Umgang mit dieser Art von Verschmutzung parallel zu der Herausforderung, dem Phänomen Einhalt zu gebieten, erfolgen kann, denn der derzeitige Wissensstand und die bestehenden Technologien, Vorschriften und Instrumente, so unzulänglich sie auch sein mögen, ermöglichen es uns, an der Prävention zu arbeiten und die Verschmutzung der Umwelt durch Mikroplastik jetzt zu stoppen.“
Dimitri Vedel, Projektkoordinator seitens der Bodensee-Stiftung, ergänzt: “Das Projekt ‘Blue Lakes’ zeigt, wie wichtig die Rolle der Kommunen bei der Vermeidung von Mikroplastik ist. Kommunen können ein gutes Beispiel für die Bürger sein und zeigen, was getan werden kann, bevor Plastikreste in die Gewässer gelangen und eine Verunreinigung durch Mikroplastik verursachen. Das Seenpapier erklärt das Problem und zeigt Strategien dazu auf, was Städte, die an Seen liegen, auf verschiedenen Ebenen tun können. Beginnend mit Sensibilisierungskampagnen zur Information der Bürger*innen oder der Verwendung des ausgearbeiteten Mikroplastik-Protokolls in Kläranlagen legen die Gemeinden ihre eigenen Strategien zur Bekämpfung der Bedrohung fest. Das Projekt war ein erfolgreicher Start und bot viel Unterstützung, aber die Gemeinden haben jetzt die Verantwortung, ihre Bemühungen zur Vermeidung von Mikroplastik in Seen fortzusetzen.”
Das 2019 dank der Kofinanzierung durch das LIFE-Programm der Europäischen Kommission gestartete Projekt entstand aus der Erkenntnis heraus, dass sich die meisten Forschungsarbeiten seit mehreren Jahren auf die Auswirkungen von Kunststoffen in marinen Ökosystemen konzentrieren und dabei die Rolle der Süßgewässer, insbesondere der Seen, die wichtige Wasserspeicher, aber auch wichtige Rezeptoren für Mikroplastik und Schadstoffe im Allgemeinen sind, vernachlässigen. Studien zeigen, dass jedes Jahr Hunderttausende von Plastikpartikeln über Nahrung, Wasser und die Luft im menschlichen Körper landen, wo gesundheitsschädliche (endokrine) Wirkungen sehr wahrscheinlich sind.
Alle EU „LIFE Blue Lakes“-Ergebnisse auf einen Blick
5 Seen-Chartas, die durch ebenso viele partizipative Wege realisiert wurden – 13 italienische Gemeinden und 65 andere Interessenvertreter, die sie unterzeichnet haben – 1 Seen-Manifest – 27 italienische Gemeinden, die es unterzeichnet haben – 250 Interessenvertreter, die am partizipativen Weg beteiligt waren – 250 deutsche und internationale Unternehmen, die durch die Informations- und Sensibilisierungsaktivitäten erreicht wurden – 20 europäische Unternehmen, die an der Advocacy-Kampagne beteiligt waren – 4 deutsche Unternehmen der Textil- und Kosmetikindustrie, die ein Memorandum of Understanding und eine freiwillige Selbstverpflichtung unterzeichnet haben – 300 Fachleute und Techniker:innen, die in den Seminaren für die Anwendung der Überwachungsprotokolle geschult wurden – 1300 Lehrer:innen und Schüler:innen, die an den Bildungsaktivitäten teilnahmen – 1800 Teilnehmende an den Seentagen und Konferenzen – 5 internationale Veranstaltungen – 5 LIFE-Blaue-Seen-Botschafter:innen, die während der Projektaktivitäten ernannt wurden – 8 italienische Regionen, die an der Roadshow teilnahmen – 20 künstlerisch-wissenschaftliche Animationsveranstaltungen in Italien mit 1000 Zuschauer:innen – 22 Projekte, die an Vernetzungsaktivitäten beteiligt waren – 700 Artikel, die in Zeitungen, Zeitschriften und im Internet veröffentlicht wurden und in denen auf das Projekt hingewiesen wurde, 5 Millionen Menschen wurden durch die Medienarbeit erreicht – Über 62.000 Menschen wurden durch die Projektwebseiten und die sozialen Medien erreicht.
Durchgeführte Erhebungen und Berichte: Bericht über bewährte Praktiken – Merkblätter für drei Tätigkeitsbereiche – Online-Ausstellung für Unternehmen – Seekarten – Seenpapier – Technisches Überwachungsprotokoll für Seewasser und Sediment – Technisches Überwachungsprotokoll für Klär- und Trinkwasseraufbereitungsanlagen – Bildungspaket für Grund- und Sekundarschulen – White Paper über Seen – Handbuch zur Wiederholbarkeit – Untersuchung der sozioökonomischen Auswirkungen.
Weitere Informationen auf der Website des Projekts Blue Lakes