Auf dem Demonstrationsbetrieb im Projekt „Insektenfördernde Regionen“ setzt der Landwirt Jonas Schlatter im Ackerbau Maßnahmen um, die den kleinen Helfern Nahrung und Lebensraum bieten.
Auf den ersten Blick hat er nichts davon: Die Getreidearten, die Jonas Schlatter anbaut, sind nicht auf die Befruchtung durch Insekten angewiesen. Anders als rund 80 Prozent der Kulturpflanzen wie Obst und Gemüse. „Aber ich esse gerne Marmelade“, antwortet der Landwirt lachend auf die Frage, warum er sich als Demonstrationsbetrieb im Projekt „Insektenfördernde Regionen“ (IFR) der Bodensee-Stiftung engagiert. Und ernster macht er sein Verantwortungsbewusstsein deutlich: „Insekten waren vor mir da und sind es auch hoffentlich noch nach mir.“ Jonas Schlatter möchte einen Beitrag leisten, die Vielfalt der kleinen Helfer zu erhalten, die in ihrem Bestand extrem bedroht sind. In den zurückliegenden drei Jahrzehnten hat sich die Biomasse an Insekten in Deutschland um drei Viertel reduziert.
Für Flächenwirkung im Insektenschutz
Im EU-LIFE Projekt „Insektenfördernde Regionen“ begleiten Mitarbeiter der Bodensee-Stiftung Landwirte und Kommunen bei der Auswahl und Umsetzung von Maßnahmen, die für die Insekten Nahrung und Lebensraum schaffen. Ziel ist, über Einzelmaßnahmen hinaus Insektenschutz in die Fläche zu bringen. Jonas Schlatter hatte auf eine Medienmitteilung hin sein Interesse an dem Projekt bekundet. „Ich hatte schon vor dem Projekt die eine oder andere Idee. Nun kann ich sie umsetzen, werde dabei begleitet und erhalte noch Rückmeldung zu den Effekten“, erläutert der Landwirt.
Von Blühstreifen bis zu Experimenten mit Untersaaten
Projektmanagerin Annekathrin Vogel von der Bodensee-Stiftung berät den Rielasinger Betrieb. Die Agraringenieurin schätzt die Offenheit von Jonas Schlatter, der als konventionell wirtschaftender Landwirt versucht, sich Naturgesetze zunutze zu machen, um unter anderem den Einsatz von Pestiziden zu reduzieren – oder eben auch den Erhalt der bestäubenden Insekten zu unterstützen. Zum Beispiel hat Jonas Schlatter mit Mais-Untersaaten experimentiert und Blühstreifen am Wald- oder Feldrand angesät.
Eigentlich steht er gerade dieser Maßnahme, die von Laien wegen der bunten Blüten gerne gesehen wird, skeptisch gegenüber. „Viele bringen Saatgut nichtheimischer Pflanzen aus. Das ist dann zwar schön bunt, aber welchen unserer heimischen Insekten ist damit dann geholfen?“, fragt er. Zudem werden die Blühstreifen meist im Herbst mechanisch beseitigt und untergepflügt. Sollten sich Insekten dort eingenistet haben, haben sie keine Überlebenschance. Umso mehr hat sich der Landwirt gefreut, dass er von der Bodensee-Stiftung Saatgut gebietseigener Wildblumen und -gräser erhielt – zudem für mehrjährige Blühstreifen, so dass auch Insektenlarven in den Gräsern den Winter überleben können.
Bodensee-Stiftung als Wegbegleiter
„Die Bodensee-Stiftung ist ein guter Wegbegleiter“, sagt Jonas Schlatter zum Charakter der Zusammenarbeit im Projekt. Mit Blick auf sein begrenztes Zeitkontingent bedauert er: „Ich könnte viel mehr Unterstützung und Beratung bekommen, wenn ich die Angebote intensiver nutzen würde.“
Gleichzeitig komme ihm die große Flexibilität und die Freiheit für eigene Entscheidungen entgegen. Gerade bei Versuchen mit Mais-Untersaaten habe er dies geschätzt. Damit möchte er verhindern, dass Boden unbedeckt bleibt, da es ihn so auch nicht in der unberührten Natur gibt. Zudem will er Humus für Folgefrüchte aufbauen und ergänzend auch Insekten Nahrung und Lebensraum bieten. Gerade Maisfelder stellen für Insekten unüberwindbare Hindernisse dar. Untersaaten könnten in Ansätzen Trittsteineffekte schaffen und vielfältigen Nutzen auch für die Bodenbiodiversität schaffen. Darüber hinaus können sie Nährstoffe im Boden konservieren, ein feuchtes Mikroklima schaffen, den Boden bei Starkregen vor Erosion schützen und das Ausbreiten von unerwünschten Ackerkräutern erschweren. Noch dazu sind die Äcker dank der Begrünung zwischen den Reihen besser befahrbar.
In der Regel kommen für solche Untersaaten Pflanzenmischungen zum Einsatz. Jonas Schlatter wollte allerdings eigene Erkundungen anstellen und hat im Sommer 2023 unterschiedliche Pflanzen wie zum Beispiel Perserklee, Rauhafer, Waldstaudenroggen und Inkarnatklee nebeneinander in Streifen mit je zwölf Metern Breite ausgesät, um deren Wirkung unmittelbar vergleichen zu können. Gerade der Inkarnatklee blühte üppig und war so besonders attraktiv für Insekten. Darüber hinaus kam er mit früher Trockenheit und der Beschattung durch die Maispflanzen gut zurecht. Am meisten war Schlatter jedoch von einer individuell erstellten Mischung unter anderem mit Inkarnatklee, Rauhafer, Sonnenblumen und Buchweizen überzeugt.
Austausch auch mit anderen Landwirten
„Im Projekt ‚Insektenfördernde Regionen‘ haben wir einen Schwerpunkt auf Fluginsekten, wir unterstützen aber auch jede Förderung der Bodenbiodiversität“, sagt Annekathrin Vogel. Sie begrüßt die Experimentierfreude des Rielasinger Landwirts, denn das eine Patentrezept, das sich über jeden Betrieb stülpen lasse, gebe es nicht: „Jeder Betrieb muss da den individuellen Gegebenheiten entsprechend seinen eigenen Weg finden“, so die Agraringenieurin, die Schlatter mit Listen und Tipps zu verschiedenen Kleesorten versorgt hat, die für positive Effekte für Insekten bekannt sind.
Im Herbst letzten Jahres stellte Jonas Schlatter seine Erkenntnisse auf Einladung der Bodensee-Stiftung bei einem Feldtag interessierten Landwirten vor. Deutschlandweit stehe er mit Kollegen im Austausch, auch mit ehemaligen Kommilitonen aus dem Agrarwissenschaftsstudium an der Universität Hohenheim.
Gespannt auf Monitoring-Ergebnisse
Im Rahmen des Projekts werden die Effekte der Maßnahmen überprüft. Bereits 2022 wurde ein Monitoring an drei Standorten, an denen unterschiedliche Maßnahmen umgesetzt worden waren, durchgeführt. „Es war echt interessant, was an Faltern auf dem Blühstreifen und der Wiese unterwegs war“, sagt Schlatter. Vom diesjährigen Monitoring verspricht er sich vertiefende Erkenntnisse über mögliche Veränderungen.
Hilfreich sei für ihn auch das Ausfüllen des von der Bodensee-Stiftung entwickelten „Biodiversity Performance Tools“ gewesen. Das Online-Programm (Infokasten unten) ermöglicht Landwirten einzuschätzen, wo ihr Betrieb in Sachen Biodiversität steht. „Das war für mich wahnsinnig interessant. Mir war nicht klar, wie viele Hecken und Waldränder ich bewirtschafte. Der Aufwand war überschaubar, hat sich aber gelohnt“, sagt Schlatter. Das Programm steht auch Landwirten, die nicht im Projekt mitarbeiten, kostenlos zur Verfügung.
Konstruktive Zusammenarbeit auch in anderem Projekt
Würde Jonas Schlatter Kollegen das Mitwirken in ähnlichen Projekten empfehlen? „Auf jeden Fall“, sagt er. Es sei interessant und bereichernd, seinen Betrieb und sein Tun von externen Experten begutachten zu lassen und im konstruktiven Austausch zu sein. Finanzielle Vorteile hat er dadurch nicht. Aber er könnte sein Engagement für den Schutz der Artenvielfalt zum Beispiel noch stärker für das Eigenmarketing beim Verkauf hofeigener Produkte auf dem Betrieb einsetzen.
Nach den positiven Erfahrungen ist Schlatter auch in einem weiteren Projekt der Bodensee-Stiftung engagiert. In „CAP4GI – GAP für vielfältige Landschaften“ werden Lösungsvorschläge dazu erarbeitet, wie die gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP) die Umsetzung landwirtschaftliche Maßnahmen für den Artenschutz besser unterstützen kann. Gerade in den aktuell stark polarisierten Diskussionen hält er es für wichtig, selbst Impulse setzen zu können.
Weitere Informationen:
Der Buchhaldehof
ist ein vielseitiger Betrieb mit rund 70 Kühen, zirka 3000 Legehennen sowie rund 100 Hektar landwirtschaftlich bewirtschafteter Fläche (72 ha Ackerland, 25 ha Grünland und 3 ha Wald). Seit 2017 bewirtschaftet Jonas Schlatter den Aussiedlerhof, auf dem er aufgewachsen ist. Über Selbstbedienungsautomaten und einen Hofladen werden hofeigene Produkte wie Eier, Nudeln, Milch und Käse verkauft. Der Buchhaldehof kann zudem von Schulen und Kindergärten als „Lernort Bauernhof“ besucht werden. Weitere Informationen auf der Website des Buchhaldehofs.
Das Projekt „Insektenfördernde Regionen“
Gefördert von der EU vereint das Projekt „LIFE Insektenfördernde Regionen“ unterschiedliche Partner für ein gemeinsames Ziel: den nachhaltigen Schutz von Insekten und Biodiversität von und mit verschiedenen Landnutzern über größere zusammenhängende Flächen hinweg. In sieben insektenfördernden Regionen werden regionale Biodiversitäts-Aktions-Pläne erstellt.
In jeder Region werden auf Demonstrationsbetrieben Maßnahmen für den Insektenschutz erprobt. Die Wirkungen auf die Insekten und die biologische Vielfalt werden per Monitoring erfasst. Gleichzeitig werden Landwirte, Berater und Lebensmittelunternehmen geschult und Verbraucher für das Thema sensibilisiert. Weitere Landwirte werden motiviert, einen Aktionsplan zur Insektenförderung zu entwickeln und umzusetzen. Im Projekt spielt auch eine Rolle, attraktive Anreize für Landwirte wie auch die (finanzielle) Honorierung des Engagements durch öffentliche Programme und die Lebensmittelbranche zu erwirken. Die in diesem Projekt erarbeiteten Ansätze sind auf weitere Regionen in ganz Europa übertragbar.
Neben dem Bodensee sind fünf Regionen in Deutschland (Allgäu, Bliesgau, Hohenlohe, Nördlicher Oberrhein, Wendland) sowie der Vinschgau in Südtirol Projektregionen.
Website: www.insektenregionen.org
Vorreiter-Betriebe in der Region Bodensee:
- Altschorenhof Mühlingen
- Berghof Tengen
- Buchhaldehof Rielasingen-Worblingen
- Fuchshof Litzelstetten
- Moosfeld Gemüse GmbH Moos
- Obsthof Arnold Friedrichshafen
- Staatsweingut Meersburg
Die Bedeutung bestäubender Insekten
Blütenbesuchende Insekten wie Honigbienen, Wildbienen, Hummeln, Fliegen, Schmetterlinge, Wespen und Käfer haben eine zentrale Funktion im Ökosystem als Bestäuber. Auf die Fremdbestäubung durch Insekten sind 80 Prozent der heimischen Blühpflanzen und 84 Prozent der europäischen Feldfrüchte angewiesen. Seit einigen Jahren wird ein verstärkter Rückgang von Bienen und anderen Insekten beobachtet. Diese sind nicht nur von ökologischer Bedeutung, sondern auch von großer ökonomischer Bedeutung, da sie für viele Pflanzen die Bestäubung sicherstellen.
Selbstcheck für Landwirte: Biodiversity Performance Tool – Insekten (BPTi)
Landwirte können mit der kostenlosen Online-Anwendung BPTi das Potenzial für die biologische Vielfalt auf ihren Betrieben erfassen. Sie beantworten dazu in dem Online-Tool Fragen aus mehreren Themenblöcken, zum Beispiel:
- naturnahe Lebensräume und Schutzgebiete (z.B. Umfang und Pflege)
- landwirtschaftliche Praktiken (z.B. Fruchtfolge, Düngemittel und Pflanzenschutz)
- Weiterbildungen, Kooperationen & Teilnahme an Projekten
Die Landwirte erhalten eine Auswertung in Form eines Ampelschemas. 81 Indikatoren machen anschaulich, welche Bereiche ihres Betriebs aus Sicht der biologischen Vielfalt schon gut dastehen und welche aus Insektensicht verbessert werden sollten. Bei mehrjähriger Nutzung können die Landwirte die Entwicklung ihrer Leistung, Verbesserungen und Verschlechterungen, im Blick behalten.