Obstbau-Modellanlagen in Baden-Württemberg bestätigen Wirkung von Aktivitäten zur Förderung der Artenvielfalt. Das Projekt stellt Schulungs- und Informationsmaterial zur Verfügung.
Auf sechs Modellanlagen in Baden-Württemberg haben seit 2019 Obsterzeuger*innen beispielhaft unterschiedliche Maßnahmen umgesetzt, um deren Wirkung für die Vielfalt von Pflanzen und Tieren in Obstplantagen aufzuzeigen. Mit Erfolg: Schon innerhalb der wenigen Jahre seit Projektstart konnte das Monitoring eine Zunahme von Vögeln, Heuschrecken und Wildbienen – sowohl der Arten als auch der Individuen – verzeichnen.
„Wenn man es der Natur zur Verfügung stellt, wird es angenommen“, sagt Sabine Sommer, Projektleiterin seitens der Bodensee-Stiftung. „Es hat alles sehr gefruchtet“, bestätigt Anne Föllner von der Flächenagentur Baden-Württemberg, die unter anderem einen Teil des Monitorings durchführt. Das Projekt wird von der Flächenagentur Baden-Württemberg gemeinsam mit der Bodensee-Stiftung koordiniert, von der Landsiedlung Baden-Württemberg getragen und vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz gefördert.
„Mir ist zum einen wichtig, dass wir zeigen können, was wir im Erwerbsobstbau bereits in Sachen Biodiversität tun. Und zum anderen zu lernen, was wir noch besser machen können“, sagt Karin Scherzinger aus Ittendorf. Wie sie nutzt auch Thomas Romer aus Litzelstetten bei Konstanz einen Teil der Anbaufläche für die Projektteilnahme. Die Obsterzeuger tragen damit aktiv dazu bei, die Wirkung von Maßnahmen zu überprüfen, zu optimieren und ihre Übertragbarkeit einzuordnen.
Neben dem Ziel, die Modellanlagen zugunsten der Biodiversität auszubauen, steht die Erstellung von Schulungs- und Informationsmaterial im Zentrum des Projekts. Das Material richtet sich vor allem an obstbauliche (Fach-)Schulen, kann aber auch von anderen interessierten Gruppen wie Beratungskräften, bereits ausgebildeten Obstlandwirt*innen und Naturschutzverbänden genutzt werden. Auch stehen die Modellanlagen langfristig als Exkursionsziele sowohl für Fachpersonal als auch Interessierte zur Verfügung. „Die Erfahrungswerte aus den verschiedenen Modellanlagen ergänzt mit Ergebnissen aus anderen Projekten können nun gebündelt weitergegeben werden“, sagt Anne Föllner.
Sechs Modellanlagen inklusive „Obstanlage der Zukunft“
Die sechs Modellanlagen finden sich an verschiedenen Orten in Baden-Württemberg. Am Projekt beteiligen sich die Landesversuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO) in Weinsberg, das Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee (KOB) in Bavendorf bei Ravensburg (einzige Anlage im Projekt, die nach ökologischen Richtlinien bewirtschaftet wird), das Landwirtschaftliche Technologiezentrum (LTZ) in Augustenberg bei Karlsruhe sowie die beiden Obstbaubetriebe Karin Scherzinger und Thomas Romer am Bodensee. Neben den fünf bereits bestehenden Anlagen wurde in Heuchlingen (Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg) auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse im Winter 2022/23 die „Obstanlage der Zukunft“ angelegt.
Die umgesetzten Maßnahmen: Von Ankerpflanzen bis Totholzhaufen
In den Obstbau-Modellanlagen wurden unterschiedliche Maßnahmen ergriffen, um vor allem Insekten, Vögeln und Fledermäusen wie auch Pflanzen mehr Lebensraum zu bieten. So wurden Blühstreifen und blühende Fahrgassen angelegt, Nisthilfen für Wildbienen, Vögel und Fledermäuse installiert, auch die Pflanzung von Ankerpflanzen am Ende der Obstbaumreihen und die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln durch den Einsatz entsprechender Spritzen- und Bearbeitungstechnik spielten eine wichtige Rolle. „Hier muss jeder seinen individuellen Weg finden“, sagt Sabine Sommer. Nicht alle Maßnahmen zeigten in jeder Anlage die gleiche Wirkung. Schließlich hänge der Zuzug von Tieren auch von der Umgebung ab. So mache es sich bemerkbar, ob sich die Modellanlage neben einer Streuobstwiese oder angrenzend an intensiv bewirtschafteten Obstanlagen befinde. Entsprechend wurden die Obsterzeuger*innen fachlich von den Projektleitern begleitet und beraten, um die Modellflächen weiter zu optimieren.
In jedem Fall sei es wichtig, einen „Trittsteineffekt“ zu ermöglichen, also dass den Tieren Brückenpfeiler zwischen Futter- und Lebensräumen geboten werden. So können Erwerbsobstanlagen als sogenannte Trittsteinbiotope wirken, die u.a. mit ihren integrierten extensiven Strukturen wie z.B. den Blühstreifen den Abstand zu anderen Lebensräumen außerhalb der Obstanlage reduzieren und somit die Migration verschiedener Tierarten in weiter entfernte Biotope ermöglichen können. Und: Möglichst früh im Jahr bis in den Herbst sollte ein Blühangebot gemacht werden, sodass den Insekten auch außerhalb der Obstblüte Blühpflanzen als Nahrungsquellen zur Verfügung stehen.
Monitoring bestätigt Zunahme von Individuen und Arten
Die Erhebung von Flora und Fauna auf den Modellflächen stellt das zentrale Instrument für die Erfolgskontrolle der Biodiversitätsförderung dar. Für jede Modellanlage wird in mehreren Begehungen zwischen März und August der Bestand von Vögeln, Wildbienen, Heuschrecken sowie die Vegetation aufgenommen. Auf Basis der Monitoring-Ergebnisse können die Maßnahmen weiter verbessert und damit das Potenzial der Obstanlagen für den Naturschutz besser genutzt werden.
Die Erfassung der einzelnen Artengruppen wurde erstmals 2020 durchgeführt und wird seitdem jährlich fortgeführt. Bei Vögeln wurde je nach Modellfläche entweder schon im ersten oder im zweiten Jahr nach Beginn der Maßnahmenumsetzung ein Anstieg der Individuenzahl und Artenzahl beobachtet. Auch die Individuenzahl der beobachteten Heuschrecken ist seit Beginn der Beobachtungen in allen Modellanlagen tendenziell gestiegen. Entsprechendes gilt auch für die Anzahl der Heuschreckenarten.
Das Wildbienenmonitoring 2022 zeigte zwei Jahre nach Beginn der Maßnahmenumsetzung einen Anstieg der Artenzahlen um durchschnittlich zehn Prozent. Die Individuenzahlen stiegen über alle Anlagen zusammen um 32,2 Prozent. „Die insgesamt höheren Arten- und Individuenzahlen zeigen, dass das Bündel von Maßnahmen zu einer weiteren Verbesserung für die Wildbienen geführt hat“, heißt es in dem Bericht.
„Vor allem die Wirkung unserer Blühstreifen ist enorm. Es bestätigte sich, dass sich die Populationen, unabhängig von meinem Pflanzenschutzmitteleinsatz positiv entwickeln, und wir mit dem richtigen Nahrungsangebot eine Vielfalt schaffen, welche mit Streuobst- und FFH-Mähwiesen vergleichbar ist“, resümiert Obstbauer Thomas Romer (magere Flachland-Mähwiesen nach Flora-Fauna-Habitat-Naturschutz-Richtlinie der Europäischen Union). Karin Scherzinger kann zudem die Anpflanzung von Ankerpflanzen am Ende von Baumreihen empfehlen: Die Wirkung sei gut – bei einem Pflegeaufwand, der sich in Grenzen halte.
Weitere positive Effekte
Biodiversitätsfördernde Maßnahmen haben auch über die Förderung der Artenvielfalt hinaus positive Effekte, wie die Ansiedlung von Nützlingen: So können beispielsweise Schwebfliegenarten einen Lebensraum finden, deren Larven Blattläuse verzehren und damit der Schädlingsbekämpfung dienen. Diese „funktionelle Biodiversität“ war nicht Forschungsgegenstand des Projekts „Hier würde ich mir weitere Forschung wünschen!“, sagt Thomas Romer.
Gewöhnung an andere Ästhetik
Die umgesetzten Maßnahmen zeigten: Es gibt Wege, Biodiversität auch in einer intensiveren Landwirtschaft wie dem Tafelobstanbau zu erhalten bzw. zu verbessern. Allerdings sei hierzu manchmal eine Umgewöhnung für die etwas andere Ästhetik nötig. „Ein Totholzhaufen sieht für manchen erstmal unordentlich aus, bietet aber vielen Insekten Lebensraum“, sagt Sabine Sommer. Karin Scherzinger kann dem bunten Erscheinungsbild der Obstanlagen viel abgewinnen: „Es macht einfach Freude zu sehen, wie es blüht und kreucht und fleucht, das freut jeden“, sagt die Obstbäuerin. Sie hat bereits auf zwei weiteren Feldern Blühstreifen in den Fahrgassen angesät.
Realistisches Bild von Aufwand, Kosten und Wirkung
Zum Abschluss des Projekts wollen die Projektpartner einen Überblick über die Maßnahmen, ihre Wirkung und die für das Gelingen nötige Arbeitsintensität in Relation darstellen, der den Obsterzeugern als Entscheidungsgrundlage für künftige Maßnahmen behilflich sein soll. Pflegemaßnahmen, das Anbringen und Reinigen der Nisthilfen, das Freihalten von unerwünschtem Bewuchs, die Bewässerung junger Hecken kosten Zeit und Geld – angesichts wachsender Personalnot und steigender Produktionskosten bei stagnierenden Obstpreisen. Mit Handel und Politik seien deshalb Finanzierungskonzepte zu diskutieren, so das Resümee des jüngsten Treffens der Projektpartner. Damit die Obsterzeuger*innen die Leistungen für mehr Biodiversität nicht unentgeltlich leisten müssen, seien die staatliche Förderung biodiversitätsfördernder Maßnahmen und ein höherer Erzeugerpreis für die Ernteprodukte wünschenswert.
Schulungs- und Informationsmaterial
Die Informations- und Schulungsunterlagen stehen auf der Projektwebsite www.obstbau-biodiv.de zur Verfügung. Verschiedene Lehreinheiten können unabhängig voneinander verwendet werden. In den jeweiligen Lehrmodulen der Einheiten wird ein möglicher Ablauf des Unterrichts bzw. von Exkursionen mit den darin beschriebenen Unterlagen, Materialien und Methoden beschrieben. Je nach Interesse und zeitlichen Möglichkeiten können die Unterlagen kombiniert und auch in eigene, bereits bestehende Unterlagen integriert werden.
Weitere Informationen auf der Projektseite Obstbau Biodiversität.