Im Kollektiv an einem Strang ziehen: Für ein Mehr an Biodiversität und die Sicherung von Ökosystemleistungen

Das EU-LIFE-Projekt „Insektenfördernde Regionen“ diskutierte bei einem Online-Workshop Lösungen für mehr Biodiversität auf Landschaftsebene – Vorgestellte Beispiele „Niederländisches Modell“ und „KOOPERATIV“ in Niedersachsen

Coyright: Bodensee-Stiftung

Bislang entscheiden Landwirt*innen individuell, ob und welche Maßnahmen zur Biodiversitätsförderung sie wo auf ihrem Betrieb umsetzen – zum Beispiel Blühflächen. Meist stehen dabei eher betriebliche und weniger naturschutzfachliche Gründe im Vordergrund und der Nutzen für die Biodiversität ist eher gering. Einen erheblichen Unterschied können in Wirkung und reduziertem Aufwand überbetrieblich koordinierte Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM) machen. Wie so oft gilt auch hier: Das Ganze birgt mehr als die Summe seiner Teile. Das wurde in einer EU-weiten Online-Veranstaltung deutlich, die erfolgreiche kooperative Ansätze sowie damit verbundene Herausforderungen erörterte.

Interesse aus verschiedenen europäischen Ländern

Mehr als 50 Teilnehmer*innen aus verschiedenen Ländern der Europäischen Union, aus Behörden, Verbänden, Wissenschaft und Politik waren der Einladung des EU-LIFE-Projekts „Insektenfördernde Regionen“ (IFR) gefolgt. Sarah Westenburg (BoerenNatuur) stellte das „Niederländische Modell“ vor, Dr. Stefan Schüler und Dr. Annika Haß (Universität Göttingen) das Projekt „KOOPERATIV“. Christine Kewes (Bodensee-Stiftung) und Philipp Uhl (Netzwerk Blühende Landschaft) warfen Schlaglichter auf Ansätze in Deutschland sowie das IFR-Projekt.

Ohne Vertrauen ist keine Kooperative erfolgreich

Für alle vorgestellten kooperativen Ansätze gilt: Landwirt*innen sind bereit, sich auf innovative Modelle einzulassen. Als unerlässlich zeigte sich jedoch: Gegenseitiges Vertrauen zwischen allen beteiligten Akteuren, verlässliche Rahmenbedingungen und überzeugende, sinnvolle und langfristige Förderanreize für Landwirt*innen. Die Anpassung und Umsetzung der vorgestellten Modelle in unterschiedliche nationale Kontexte stellt jedoch eine Herausforderung dar. Das machte die Diskussion der Ansätze deutlich.

Zusammenarbeit von Landwirtschaft, Kommunen und Unternehmen

Im EU-Life-Projekt „Insektenfördernde Regionen“ erprobt die Bodensee-Stiftung unter anderem mit Landwirten Maßnahmen, um Insekten mehr Nahrung und Lebensraum zur Verfügung zu stellen – wie mit Nützlingsstreifen im Kartoffelanbau. Copyright Hartmann

Aus Sicht von Patrick Trötschler, Geschäftsführer der Bodensee-Stiftung und Koordinator des IFR-Projekts, steht fest: „Wir brauchen die Zusammenarbeit verschiedener Akteure für optimale Qualität und Quantität zum Erhalt wichtiger Ökosystemleistungen.“ Seit September 2020 arbeiten die IFR-Projektpartner mit unterschiedlichen Landnutzern – Landwirtschaft, Kommunen und Unternehmen – in sieben Regionen (Allgäu, Bodensee, Bliesgau, Hohenlohe, Nördlicher Oberrhein, Wendland sowie Vinschgau in Südtirol) zusammen, um „insektenfördernde Regionen“ zu etablieren. Unter anderem erprobten sie unterschiedliche Maßnahmen in rund 60 Demonstrationsbetrieben, schulten 1300 Personen aus Landwirtschaft, Verwaltung und Lebensmittelbranche und entwickelten Anreizsysteme. In Kürze wird der „Leitfaden für mehr und bessere Insektenförderung auf Landschaftsebene“ veröffentlicht.

Landwirtschaftliches Natur- und Landschaftsmanagement: Voraussetzungen für echte Wirkung

Das niederländische Programm für landwirtschaftliche Natur- und Landschaftspflege (ANLM) ist international anerkannt für seinen einzigartigen kollektiven Ansatz, bei dem Gruppen von Landwirt*innen und anderen Landnutzer*innen Agrarumwelt- und Klimadienstleistungen (AECM) auf Landschaftsebene koordinieren und erbringen. Sarah Westenburg, strategische Beraterin bei BoerenNatuur, dem Dachverband der 40 landwirtschaftlichen Kollektive in den Niederlanden, gab Einblicke in die Funktionsweise dieses Modells in der Praxis und äußerte sich kritisch zu seiner ökologischen Wirksamkeit, wobei sie sich auf die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten nationalen Bewertung stützte.
Während das System positive Auswirkungen auf die Lebensraumqualität und das Vorkommen von Arten zeigt, blieben die nationalen Trends bei der biologischen Vielfalt unverändert. Zu den größten Herausforderungen gehörten laut Westenburg ein Mangel an räumlicher Konzentration, ökologischer Intensität und langfristigem Engagement. „Um voranzukommen, müssen wir aufhören, darüber zu debattieren, ob Maßnahmen freiwillig oder verpflichtend sein sollten“, schloss Sarah Westenburg. „Stattdessen müssen wir die richtigen Voraussetzungen schaffen: ausreichende und stabile Finanzmittel, institutionelle Unterstützung und einen kohärenten politischen Rahmen, der es den Landwirten ermöglicht, echte Wirkung zu erzielen.

Ökologische, ökonomische und soziale Synergien

Dr. Annika Haß und Dr. Stefan Schüler von der Universität Göttingen stellten in ihrem Beitrag vor, wie verschiedene Akteur*innen durch bottom-up-Strukturen miteinander vernetzt werden können, um eine gemeinsame Vertrauensbasis für das kooperative Handeln auf Landschaftsebene aufzubauen. Darüber hinaus widmeten sie sich den ökologischen, ökonomischen und sozialen Synergien, die aus kooperativen Agrarumweltmaßnahmen entstehen können. Die Betrachtungen erfolgten am Beispiel des KOOPERATIV-Projekts, bei dem zahlreiche lokale Akteure gemeinschaftlich – von den beteiligten Landwirt*innen über Naturschutzorganisationen bis zum Bürgermeister – 250 Hektar mehrjährige Blühflächen auf Landschaftsebene im Landkreis Northeim in Niedersachsen etabliert haben. „Die Kooperation vor Ort ist der Schlüssel dafür, ökologische Maßnahmen deutlich wirkungsvoller zu gestalten als mit Einzelmaßnahmen“, so Dr. Annika Haß. „Die vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten im Zuge von Veranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit sowie der direkte Kontakt vor Ort werden von den beteiligten Akteur*innen sehr positiv wahrgenommen“, ergänzte Dr. Stefan Schüler.

Keine Lösung von der Stange

Copyright: Tilo Herbster

„Es gibt nicht die eine Lösung für alle in der EU“, betonte Christine Kewes, Projektmanagerin bei der Bodensee-Stiftung mit Blick auf die schon in Deutschland stark variierenden Agrar- bzw. Landschaftsstrukturen. Flexibilität in Förderinstrumenten und umgesetzten Maßnahmen seien dringend nötig, um den Landwirt*innen Lust auf die Umsetzung zu machen.
„Es ist hervorragend und absolut zu begrüßen, wenn Länder oder Regionen neue Modelle ausprobieren, um mehr Vielfalt und Umweltschutz in die Landschaft zu bringen“, betonte sie mit der Ergänzung, dass die Konzepte für die Bedingungen vor Ort (Naturausstattung, Agrarstruktur, gesetzliche Vorgaben, Fördertöpfe) entwickelt werden müssten. „Das würde unsere Artenvielfalt wirklich voranbringen. Außerdem müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden, wie Vereinfachungen bei der Umsetzung, Verringerung des Sanktionsrisikos, ausreichende Vergütung und eine verbesserte Beratung.“ Begleitend müsse eine Verlagerung der Zahlungen von der Einkommensunterstützung hin zur Belohnung der Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen bzw. des Gemeinwohls erfolgen. „Und auch das muss in Betracht gezogen werden: Höhere Preise für höhere Produktionsstandards“, so Kewes.
Philipp Uhl (Netzwerk Blühende Landschaft) hob hervor, dass in der gemeinschaftlichen Umsetzung von AUKM vieles möglich und schon jetzt realisiert werde, und unterstrich, dass dies besser und häufiger kommuniziert werden müsse. Dies helfe auch, das Dogma zu überwinden, dass Kooperativen zu komplex seien.

Weitere Informationen:

Das „Niederländische Modell“
Landwirt*innen in den Niederlanden können Agrarumweltmaßnahmen (AUKM) nur noch über „Collectieve“ umsetzen. Es gibt 40 solcher Zusammenschlüsse, die Umweltmaßnahmen eigenverantwortlich planen, umsetzen und kontrollieren. Die Zusammenschlüsse entwickeln für die vom staatlichen Naturschutz vorgegebenen Schutzziele in ihrer Region einen Sechs-Jahres-Plan, der Maßnahmen festlegt, mit denen Landwirte zu den Schutzzielen (Biodiversität, Klima- und Gewässerschutz) angepasst an regionale Gegebenheiten beitragen können und beraten die Landwirte bei der Umsetzung. Die „Collectieve“ sind Endbegünstigte der Agrarumweltförderung und zahlen den Landwirt*innen die Fördermittel aus. Sie überwachen auch die Umsetzung der Maßnahmen und deren Erfolge und kommunizieren diese sowohl an die Zahlstelle als auch an die Öffentlichkeit.

Das Projekt KOOPERATIV
Im Projekt KOOPERATIV verfolgen die Universitäten Göttingen und Rostock sowie das Landvolk Northeim-Osterode einen innovativen Lösungsansatz im Landkreis Northeim. Mehrjährige Blühstreifen werden als Agrarumweltmaßnahmen weiträumig und kooperativ, d.h. abgestimmt zwischen mehreren landwirtschaftlichen Betrieben umgesetzt. KOOPERATIV hat dabei zum Ziel, die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen der kooperativen Blühflächenanlage sowie grundlegende Goverancestrukturen zu erfassen. Unter ökologischen Aspekten werden die Wirkungen der Blühflächen auf die biologische Vielfalt und auf die landwirtschaftlich bedeutsamen Ökosystemleistungen biologische Schädlingskontrolle und Bestäubung analysiert. In ökonomischer Hinsicht werden die einzelbetrieblichen Auswirkungen der Blühflächenumsetzung untersucht und der Projektteil Governance widmet sich der Funktions- und Organisationsweise kooperativer Maßnahmen. Die Wechselwirkungen und Synergien zwischen den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Governance werden dabei ganzheitlich betrachtet.
Weitere Informationen auf der Projektwebsite KOOPERATIV

Das Projekt Insektenfördernde Regionen

Gefördert von der EU vereint das Projekt „LIFE Insektenfördernde Regionen“ unterschiedliche Partner für ein gemeinsames Ziel: den nachhaltigen Schutz von Insekten und Biodiversität von und mit verschiedenen Landnutzern über größere zusammenhängende Flächen hinweg. In sieben insektenfördernden Regionen (Allgäu, Bodensee, Bliesgau, Hohenlohe, Nördlicher Oberrhein, Wendland sowie Vinschgau/Südtirol) werden auf Demonstrationsbetrieben Maßnahmen für den Insektenschutz erprobt. Gleichzeitig werden Landwirt*innen, Berater*innen und Lebensmittelunternehmen geschult und Verbraucher*innen für das Thema sensibilisiert. Weitere Landwirt*innen werden motiviert, einen Aktionsplan zur Insektenförderung zu entwickeln und umzusetzen. Im Projekt spielt auch eine Rolle, attraktive Anreize für Landwirt*innen wie auch die (finanzielle) Honorierung des Engagements durch öffentliche Programme und die Lebensmittelbranche zu erwirken.
Weitere Informationen zum Projekt „Insektenfördernde Regionen“
In Kürze wird auf der Website ein „Leitfaden für mehr und bessere Insektenförderung auf Landschaftsebene“ veröffentlicht (in deutscher und englischer Sprache).

Konferenz zum Thema: Unter dem Titel „More than just Flower Strips – European Conference for more Insect Protection and Biodiversity at Landscape Level“ findet am 20. Mai in Frankfurt am Main die Abschlusskonferenz zum Projekt statt. Schwerpunktthemen werden sein: Landschaftsansatz, Biodiversität in der Landbewirtschaftung, Blühende Gemeinschaften, Bürgerwissenschaft & Monitoring sowie Politik & Anreize. Die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldung und weitere Informationen auf der Projektwebsite Insektenfördernde Regionen